Willkommen im Club der linken Versager

Bini Adamczak und Anna Dost

Die Stunde der Niederlage bringt der Sowjetunion noch einen letzten Applaus. Es wird im Moment ihres Scheiterns, in ihrem Verzicht auf Rache und unnützes Blutvergießen jene friedliche und menschenfreundliche Utopie noch einmal erneuert, die den Kern der marxistischen Ideologie ausmacht und die durch die Bolschewiki zu Zeiten ihrer Macht so oft desavouiert worden ist.“

– Rainer Bohn, 1991

Gemessen an dem Anspruch, Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden und allen Menschen ein Leben ohne Hunger und Personalausweis zu ermöglichen, sind sie alle gescheitert – die Linken. Zuerst diejenigen, die diesen Anspruch – heimlich oder offen, aber meistens eher heimlich – verabschiedeten, bzw. verrieten. Sozialdemokratinnen also, gleich welcher Farbe, rot, grün oder ähnlich und unabhängig davon, ob sie sich als Partei, Gewerkschaft oder Pfeifenclub organisierten. Dann all jene, die sich hiervon überhaupt verraten fühlen durften, weil sie dem Anspruch, die Welt einmal in Gänze nach links zu drehen, treu geblieben waren. Rätekommunistinnen oder Anarchafeministen, Republikanerinnen oder Kommunarden, die mutig auf die Barrikaden stiegen – und da auch blieben. Wenn sie nicht noch dahinter erledigt wurden von schließlich jenen, die gerade in ihrem Erfolg scheiterten, nämlich eher die Macht übernahmen als die zu Welt verändern. Jene also, die sich – zunächst aber alle anderen – zu Tode siegten, Leninistinnen, (Post)Stalinisten, Staatssozialistinnen.

Gescheitert sind sie alle, aber keiner will’s gewesen sein. Die Sozialdemokratinnen nicht, weil sie ja gar nicht gewinnen wollten, also auch eigentlich nicht verlieren konnten. Die Anarchistinnen nicht, weil an ihrer Niederlage nicht sie, sondern ausschließlich ihre Feinde die (moralische) Schuld tragen. Und die Kommunistinnen nicht, weil sich ihre Taten in der Gegenwart noch gar nicht, sondern erst aus der Perspektive der kommunistischen Zukunft beurteilen ließen. Eine noch völlig unbekannte kommunistische Zukunft, versteht sich, von der aber so viel bekannt war, dass sie noch das versauteste Mittel anerkennt, wenn es nur zum saubersten Zweck führt, welcher eben diese Zukunft selbst ist.

Von hier aus lässt sich das gewaltige Seufzen 89/91 verstehen, mit dem nicht nur ein Imperium abdankte, sondern auch dessen und – gemäß seines universalistischen Anspruchs – unser aller Zukunft. Für die Kommunistinnen, die immer auf die Gesetze des Fortschritts vertraut hatten, gab es plötzlich kein Vorwärts mehr und keine Flucht nach vorn. Wo vorher eine Kette von Begebenheiten erschien, da war im Blick zurück nur noch eine einzige Katastrophe zu sehen, ein Schuldenberg, der unablässig Rechnungen auf Rechnungen häufte, welche nach 73 Jahren alle auf einmal fällig wurden.

Aus ökonomischer Perspektive reichte die Verschuldung der DDR Ende der 80er bis an den Rand der Zahlungsunfähigkeit.Ungefähr 1987 hatten Mitarbeiterinnen des Instituts für Wirtschaftswissenschaft der Akademie der Wissenschaften ausgerechnet, dass die Mittel für die sozialistischen Subventionen fast aller Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs – Brot und Brötchen, Milch, Nudeln, Schuhe, Mieten, Energie, Fahrpreise – in zwei Jahren in der bisherigen Art und Weise nicht mehr ausreichen würden. Damit war vorherzusehen, dass der von Reagan 1981 proklamierten Strategie, die Sowjetunion im Wettrüsten zu besiegen, ein baldiger Erfolg beschieden sein würde. Da die Oststaaten die Investitionen in Hochtechnologie kaum verkraften konnten und auch der Bau jedes konventionellen Panzers und jedes Flugzeugs den doppelten Aufwand erforderte, war die ökonomische Niederlage des real existierenden Sozialismus erwartbar.

Die Niederlage, nicht jedoch sein Scheitern. Denn gescheitert war der Sozialismus, der sich bekanntlich nicht in erster Linie über die Entfaltung der Produktivkräfte, sondern über die Umwälzung der Produktionsverhältnisse definiert, bereits viel früher: Mit der Entmachtung der Räte, der Bürokratisierung der Ökonomie, der Aufgabe der Arbeiterkontrolle, dem Verbot der Gewerkschaften usw. Das Ziel der klassenlosen Gesellschaft war mit dem Verbot der Arbeiteropposition und der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands, die beide wenig mehr getan hatten, als an diese sozialistischen Versprechen der Oktoberrevolution zu erinnern, schon 1921 gestorben. 1989/91 markiert so nur das letzte Offenkundigwerden dieses Todes, der bereits ein halbes Jahrhundert zuvor eingetreten und lediglich propagandahaft überschminkt worden war.

Was 1989/91 scheiterte war nicht der Kommunismus, höchstens der letzte, schon gänzliche kraftlose Versuch seiner Rettung. In dieser Perspektive reiht sich das Datum ein in die nach dem Tod Stalins wiederaufgenommene Kette von Reformversuchen, die sich über den , des Aufstand in Ungarn 1956 bis zum Prager Frühling 1968 spinnt. Wie 1956 mit Chruschtschows Geheimrede kam auch diesmal die Hoffnung von oben, von Gorbatschows Perestroika – Rede im Oktober 1989. In der Sowjetunion verbot Jelzin im August 1991 die KPdSU, wie es auch in den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken geschehen war. Der Antikommunismus siegte auf der ganzen Linie. Das winzige Fenster für einen anderen Ausweg aus dem „sehr alten und auf Dauer ermüdenden Spiel, dessen Varianten Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg heißen“ (Wolfgang Pohrt) hatte sich geschlossen.

Enzo Traverso hat in seinen Gebrauchsanleitungen für die Vergangenheit darauf aufmerksam gemacht, dass sich mit „Ende der Geschichte“ auch die Erinnerungs- und Geschichtspolitik transformiert. In der DDR waren die Verfolgten des Nationalsozialismus in eine abgewertete Gruppe der Opfer des Faschismus und eine favorisierte Gruppe der Widerstandskämpfer gegen den Faschismus geteilt, von welchen letztere im antifaschistischen Staat nachträglich zu Siegern geworden war. Mit dem Ende dieses antifaschistischen Staates verwandelten sie sich allerdings nicht in Besiegte. Denn an die Stelle der im Diskurs nicht nur der Linken populären Figuren von Siegern und Besiegten, war bereits das Paar von Täter und Opfer getreten.

Es ist dieselbe historische Bewegung, in welcher der Begriff des Scheiterns seinen Auftritt hat. Sein psychologischer Diskurs geht mit dem Verschwinden des politischen Begriffs der Niederlage einher. Mit einigem Recht darf danach gefragt werden, ob sich die Frage des Scheiterns nicht vor allem innerhalb der depolitisierende Strategie des Neoliberalismus artikuliere, die mit der Technik der Subjektivierung die Gesellschaft und ihre Kämpfe zu verschwinden bringt. Der psychologische Diskurs des Scheiterns verdränge dann den politischen Begriff der Niederlage, ganz so wie auf verwandtem Terrain, der Auftritt des Opfers mit dem Verschwinden der Besiegten einhergeht. Zur gleichen Zeit eröffnet aber auch das neoliberale Dispositiv eine ihm eigene Perspektive auf Geschichte, die es im Moment seines Sturzes aufzuheben gilt. Die Niederlage wird den sie Erleidenden von Außen beigebracht, von einem überlegenen Gegner. Wer aus ihr lernen will, lernt, das nächste Mal mit einer verbesserten Taktik, einer gründlicheren Analyse, vor allem einer größeren Masse anzugehen. Das Scheitern aber geht tiefer. Es ist – in ideologischen Ausblendung aller Bedingungen – immer ein Scheitern an uns selbst. Was sich damit lernen lässt ist folgendes: warum auch unter anderen (auch unter besten) Bedingungen, die gleiche Politik nicht zum gewünschten Erfolg geführt hätte. Oder materialistisch gewendet: Wie sich den gleichen, bescheidenen Umständen eine andere Politik hätte abtrotzen lassen.

Bini Adamczak ist das Bündnis zänkischer Gespenster (zB dekonstruktivistischer Feminismen und adornitischer Wertkritik), unerwünschter Erbschaften und nächtlicher Reproduktionsläufe. Nebenher ist sie Performerin, Zeichnerin und Autorin grenzgängerischer Texte und Bücher wie etwa Kommunismus für Kinder (2004) und Gestern Morgen (2007).

Anna Dost ist Anwältin. In ihrer Freizeit befasst sie sich mit den (linken) Geschichten der Sowjetunion und anderer osteuropäischer Länder. Ihr Fokus liegt auf Antisemitismus, Stalinismus, sowie Geschlechterverhältnissen und Feminismus.

This is an edited version of an article which appeared in issue 40 of arranca! (2009). The English translation, published in Issue 5 of Turbulence can be found here.

Buzz it!
  • Who we are

    Turbulence is a journal/newspaper that we hope will become an ongoing space in which to think through, debate and articulate the political, social, economic and cultural theories of our movements, as well as the networks of diverse practices and alternatives that surround them. Read more here

  • Turbulence on Myspace



Subscribe
Flattr this