Die Vielfalt, die Entscheidung, das Gemeinsame

19 on multiplicity

Photo: Jef Aérosol ©

Unserer eigenen weltgeschichtlichen Erfindung entspringt sowohl unsere Stärke wie unsere Schwäche. Ohne dies explizit zu wissen, haben wir das Dilemma geerbt, das um den Mai 1968 herum die Alte Soziale Bewegung von den Neuen Sozialen Bewegungen getrennt hat. Erstere konzentrierte sich auf das Problem der zentralen Front, bejahte deshalb die Arbeit und folglich die staatliche Macht. Letztere setzten demgegenüber auf die Vielfalt der Fronten, bejahten das Recht der Nicht-Arbeit und folglich die Anti-Macht der Minderheiten. Wir denken beides zusammen und nennen uns auch deshalb Bewegung der Bewegungen. Unsere Schwäche ist, daraus nicht alle Konsequenzen zu ziehen. Wir wissen noch nicht, wie das Gemeinsame aller Fronten artikuliert und organisiert werden kann. Wir wissen noch nicht, was die Macht der Anti-Macht ist. Die unumgängliche Bejahung der Vielfalt verdeckt die Unumgänglichkeit der einen strategischen Entscheidung.

Wir haben nicht einmal verstanden, dass das unser Problem ist und dass wir es zu lösen haben. Der Ansatz der Lösung liegt in der Frage, wie wir Partei und Staat machen können, ohne nur Partei zu sein und im Staat aufzugehen.

Dazu drei Hinweise. 1.) Ein wirkliches Problem ist etwas, das wie ein Rätsel gelöst werden muss. Das schließt ein Moment der Gnade, folglich die Offenheit für ein Ereignis ein. 2.) Wenn es eine Dialektik der drei Bewegungssequenzen gibt, dann geht es dabei nicht um deren Synthese, sondern um ein ganz Neues, ein ganz Anderes. Das schließt bestimmte Negationen nicht aus, sondern ein. 3.) Holloway artikuliert nicht unsere Stärke, sondern unsere Schwäche, verleiht der Überhöhung des Zapatismus philosophische Weihen, statt sich um einen philosophischen Beitrag zur Weiterentwicklung dieser bedeutenden, doch begrenzten politischen Neuerung zu bemühen.

Thomas Seibert, Philosoph, Aktivist in attac und der Interventionistischen Linken. Gerade erschienen: Krise und Ereignis. Thesen zum Kommunismus heute.

The English translation of this text can be found here.

This article is part of the t-10 series from Issue 5 of Turbulence asking, ‘What were you wrong about 10 years ago?‘.

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