Wie war das noch mit dem Ende der Geschichte?
von Turbulence
In den 1990er Jahren war es der letzte Schrei. Der neoliberale Kapitalismus war angeblich der krönende Endpunkt der Weltgeschichte. “There is no alternative” (“Es gibt keine Alternative”), lautete die von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher oft gebrauchte Parole. Der Prozess, mit diesem totalitären Geseier aufzuräumen, begann schon vor langer Zeit. Die globalisierungskritische Bewegung, die um die Jahrtausendwende entstand und mit den Protesten in Seattle und Genua in Verbindung gebracht wird, weigerte sich, das vermeintliche Ende der Geschichte zu akzeptieren. Sie lancierte die Parole “Eine andere Welt ist möglich.” Wir waren Teil jener Bewegung und können nun, inmitten einer folgenschweren Weltwirtschaftskrise, ganz klar sagen, dass wir recht hatten, und die anderen unrecht.
Es geht uns hier nicht um Schadenfreude, sondern darum, was diese Krise eigentlich bedeutet. Erfolgreich war der Neoliberalismus vor allem bei der ideologischsten aller Unternehmungen: er schaffte es, die politische Mitte zu besetzen. Alan Greenspan – der ehemalige Vorsitzende der US-Zentralbank Federal Reserve, der bei einem Großteil der Deregulierungsmaßnahmen Pate stand, die zur jetzigen Krise beigetragen haben – hat zugegeben, dass er seine lebenslang gehegten Überzeugungen im Rahmen der Krise neu überdenken musste. Das zentrale Dogma des Neoliberalismus – dass Märkte das beste Mittel seien, um den gesellschaftlichen Reichtum und die vorhandenen Ressourcen zu verteilen, da sich das Eigeninteresse der Individuen nur dort auf magische Weise in gesellschaftlichen Fortschritt verwandle – ist gründlich widerlegt worden. Es ist nicht mehr einfach nur ‚gesunder Menschenverstand’, oder die einzig vernünftige Position: mittlerweile ist klar, dass es sich immer schon um eine parteiische Ideologie, und nicht um neutrale ‘Wissenschaft’, handelte. Wenn jemand wie Greenspan das anerkennt, ist das so, als würde der Papst sagen: “Vielleicht habe ich mit dieser ganzen Gott-Geschichte doch unrecht.” Für den Neoliberalismus ist diese Krise ebenso vernichtend, wie das der Fall der Berliner Mauer für den Ostblock war.
Wer aber sagt, dass sich die Welt ändern wird, sagt damit noch nicht, dass jetzt das Ende des Kapitalismus, oder auch nur der Anfang von etwas ‘besserem’ als dem Neoliberalismus bevor steht. Gemeint ist damit nur, dass wir gegenwärtig den Moment erleben, an dem ein bestimmtes wirtschaftliches und politisches Arrangement, dessen Ursprung in den späten 70er Jahren liegt, untragbar geworden ist.
Der Neoliberalismus war u. a. die Antwort auf eine politisch starke und anspruchsvolle ArbeiterInnenklasse, die sich an die Vorstellung, der Wohlfahrtsstaat sei für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zuständig, ebenso gewöhnt hatte wie an die Erwartung steigender Reallöhne, und die überzeugt war, dass ihr noch mehr zustehe. Seitdem stagnieren oder sinken die Reallöhne. Die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen sind zurück gefahren und eingeschränkt worden. Unsicherheit und Furcht haben sich breit gemacht. Als Gegenleistung bekamen wir günstige Kredite, ermöglicht durch niedrige Zinssätze und deregulierte Finanzmärkte (denen wiederum steigende Häuserpreise zugrunde lagen, also eben die ‘Blase’, von der diese Krise ausging), private Kranken- und Altersversicherungen und – insbesondere in Großbritannien und den USA – einen überbordenden Konsum, der nicht auf steigende Löhne, sondern auf die ungezügelte Verschuldung der Privathaushalte zurück ging. Eine sehr kleine Anzahl von SpekulantInnen wurde sehr reich. Einige von uns bekamen Häuser und eine Altersrente. Die meisten von uns verschuldeten sich immer mehr.
Jetzt ist dieser ganze ‘Deal’ zusammen gekracht. Der Ausdruck ‘Kreditklemme’ spricht Bände: Die Zeiten, als günstige Kredite die Verluste in allen anderen Bereichen kompensierten, sind vorbei. Jetzt stehen wir vor der trostlosen Realität stagnierender Löhne, prekärer Arbeitsverhältnisse, steigender Preise und weiter schrumpfender Sozialleistungen. Kurzum, wir im globalen Norden blicken dem entgegen, was der Großteil der Weltbevölkerung in den 80er Jahren erlebte, als IWF und Weltbank über den Erdball zogen und ihre ‘Strukturanpassungsmaßnahmen’ feilboten.
Die ersten Kämpfe gegen den Neoliberalismus in den 1990er Jahren richteten sich gegen genau diese Art der ‘Anpassung’, und das könnte sich jetzt wiederholen. Wir können nicht genau wissen, wo und in welcher Form die neuen sozialen Konflikte ausbrechen werden, ob sie sich als dauerhaft erweisen und verallgemeinern werden. Vielleicht wird es um die steigenden Preise von Nahrungsmitteln, Wasser, Transport oder Strom gehen, und die jahrhundertealte Tradition des eigenmächtigen Preisbestimmung auf Grundlage einer ‘moralischen Ökonomie’ des ‘gerechten Preises’ wird wiederbelebt werden, um sich gegen die ‘politische Ökonomie’ des Marktes zu wehren. Vielleicht werden Wohnfragen im Mittelpunkt stehen. Dann könnte auf Lehren aus der Bewegung gegen die britische poll tax (Kopfsteuer) zurück gegriffen werden, als Menschen sich organisierten, um Räumungen zu verhindern und materielle Räume für sich zurück zu erobern.
Das alles bedeutet aber auch, dass die Umstrukturierung, deren Aushandlung und Planung sich die G20 in den kommenden Monaten widmen werden, geprägt sein wird von den Reaktionen der Menschen auf die momentane Situation. Alle sprechen von einem ‘New Deal.’ Der Deal, der am Ende für uns heraus springt, wird von unserer Fähigkeit abhängen, das, was wir wollen, nicht nur zu fordern, sondern auch zurückzuerobern.
Die Geschichte wartet darauf, gemacht zu werden. Aber das wussten wir ja auch schon davor.
Turbulence ist ein unregelmäßig erscheinendes Zeitschriftenprojekt. Die letzte Ausgabe trug den Titel Who Will Save Us From the Future? und enthält verschiedene Artikel zur momentanen Überschneidung verschiedener Krisentendenzen – die Finanzkrise, Nahrungsmittel- und Ölpreiskrise, ökologische Krise – und deren mögliche Bedeutung für radikale Bewegungen.
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